ATARAXIA

Ort: Leipzig WGT Schauspielhaus
Datum: 26.05.2007

Nach einer kurzen und glücklicherweise sonnenumfluteten Begehung der Stände rund um die Moritzbastei führte uns der WGT-Samstag zunächst ins Schauspielhaus, wo eine Performance der besonderen Art auf dem Programm stand. Die Italiener ATARAXIA gelten seit jeher als extravagant und wollten eine ihrer vielen aktuellen Veröffentlichungen theatralisch/ musikalisch zur Aufführung bringen. Das Ende 2006 erschienene Werk „Paris Spleen“ basiert auf dem Treiben einer verschollenen Cabaret-Gruppe, die Anfang des 20ten Jahrhunderts Paris unsicher gemacht hatte. Der Sage nach (und wirklich nur dieser) nahm im November 2005 ein Medium aus Toulon - Madame Joséphine Corelli - Kontakt mit ATARAXIA auf, um ihren persönlichen Höllenqualen zu entgehen. Die Dame wurde nämlich von den untoten Mitgliedern jenes Cabarets verfolgt, welches auch unter dem Namen Circuz Kump bekannt war. ATARAXIA sollten nun den Spielbetrieb wieder aufnehmen und quasi als lebendes Alter Ego die Dekadenz des vergangenen Jahrhunderts wieder auferstehen lassen. Basierend auf den Gedichten Charles Baudelaires handelt es sich bei „Paris Spleen“ somit um den ersten Tonträger, der von lebenden UND dahin geschiedenen Musikern gleichermaßen aufgenommen wurde...

Mal abgesehen von dieser wunderbaren Geschichte stand uns einfach der Sinn nach ansprechender Tonkunst und damit waren wir offensichtlich nicht allein, denn das optisch sehr stilvolle Gebäude füllte sich fast bis auf den letzten Platz. Kurz nach 16 Uhr war es dann auch soweit, und Circuz-Dompteuse Madame Bistouri (aka Francesca Nicoli) schlich mit einem Dolch bewaffnet auf die Bühne, um eine herrlich absurde Darbietung einzuläuten. Einiges von dem, was wir in der Folgezeit erlebten, entzog sich dem genauen Verständnis, aber das ist halt mystisches Varieté! Neben der gesangsstarken Dame tummelten sich noch Gitarrenvirtuose Vittori Vandelli, Percussionist Riccardo Spaggiari und Keyboarder Giovanni Pagliari (im Burschenlook) auf der Stage und alle inszenierten mit- und untereinander kleine Geschichten. Da spielten sich Liebesdramen ab (Rosen wurden verschmäht), Francesca wurde erdolcht, nachdem sie ein rattenähnliches Stofftier liebkost hatte und schlussendlich rächte sich die Lady mit der Viel-Oktavenstimme an den Herren per Kopfschuss. Doch das war noch lange nicht alles: F.N. verbarg ihr Gesicht unter einer Katzenmaske, trug Skeletthandschuhe und Peitsche, machte es sich auf einem blauen Gymnastikball gemütlich. Schließlich trugen gar alle Musiker Tiermasken: Der Elefant gab hier dem Wahnsinn einen Namen, die bizarre Szenerie verführte das sichtlich begeisterte Publikum zu angemessenen Ovationen.

Nachdem man sich durch das logischerweise französischsprachige Albummaterial gespielt hatte (eine Mischung aus Gothic, Avantgarde und Chanson), beendete ein außergewöhnliches Stück den Hauptpart. „O Moon of Alabama“ - im Original von Kurt Weill und Bertolt Brecht – wurde bereits von Künstlern wie NINA SIMONE veredelt, die Interpretation ATARAXIAs stand dem aber in keiner Sekunde nach: Rauchig, verrucht, atmosphärisch. Nach einer Zugabe gestanden die Südländer, keinen weiteren Titel im Gepäck zu haben und wiederholten einfach noch einmal ihre Coverversion, dem Auditorium widerstrebte das aber nicht im Geringsten, so dass das „absurde“ Circus-Quartett mit Ovationen verabschiedet wurde. Derlei Auftritte sorgen immer wieder für den besonderen Charme des WGTs. Während wir unseren Körper wieder ins Sonnenlicht bewegten, dürften sich ATARAXIA schon auf ihren 2ten Auftritt am Folgetag vorbereitet haben, den wir aus Zeitgründen aber nicht mitnehmen konnten. Chapeau!

Copyright Fotos: Karsten Thurau


TK (26.05.2007)